Vogelschiss
Bei
Vogelschiss denke ich an Kaffee und Kuchen im Grünen.
Ein
paar Vögel zum Zwitschern sind sicher auch dabei.
"Ich
habe einen Film zum Majdanek Prozess gesehen" habe ich gesagt.
"Da
hast du selber schuld" hat meine Mutter gesagt.
Es ist
sicherlich eine Frage der Skalierung.
Und des
Abstandes. Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.
Was
groß scheint und bedeutend, wird winzig und klein.
Abstand
gewinnen geht auch über die Zeit.
Tausend
Jahre sollten reichen, um die Dinge ins richtige Maß zu rücken.
Ich
persönlich werde noch weitere tausend Jahre dazu geben.
Auf dem
kürzesten Weg kommen Sie dahin, wenn Sie vom Vogelschiss die Fransen wegnehmen.
Dann können Sie den Rest nehmen und gerade hin stellen. "Gerade hinstellen"
werden Sie verstehen, denke ich.
Sie
erhalten dann eine Figur aus zwei Linien.
Die
eine ist waagerecht. Auf ihr können Sie alle Orte der Welt einzeichnen.Solche,
wo Sie sich aufhalten möchten und solche wo das nicht der Fall ist. Ich machs
mal ganz abstandslos. Auschwitz, Buchenwald, Leningrad. Alle drei stehen für
Zahlen, die ich nie gezählt habe. Stehen für Namen, die ich nie gekannt habe.
Auf
dieser Linie, die von einem Ende der Welt zum anderen geht, gibt es einen
besonderen Ort, der heißt: Hier. Ich kann hingehen wohin ich will.
"Hier" ist mein Ort, der mich begleitet.
Die
andere Linie ist senkrecht. In diese Linie können Sie alle Zeiten der Welt
einzeichnen. Es gibt auf ihr ebenfalls einen besonderen Ort, der heißt: Jetzt.
Dieses Jetzt kann ich nicht ändern. Jetzt ist etwas, das mich mitnimmt.
Die
Waagerechte und die Senkrechte überschneiden sich an einem Punkt. Hier und
Jetzt bilden die Gegenwart.
Die
senkrechte Linie enthält eine zweite Marke. Diese befindet sich in 2000 Jahren
Entfernung. Wenn Sie den Ort aufsuchen, werden Sie die Figur wiederfinden. Sie
steht für eine Hinrichtung. Für drei Hinrichtungen von drei Menschen. An einem Freitag.
Aus
zweitausend Jahren Abstand betrachtet sollte es eine eher unbedeutende
Angelegenheit sein.
Tatsächlich
wird an diese Hinrichtung jedes Jahr erinnert. Sie ist Teil der Gegenwart.
Unserer Gegenwart.
Die
Verkleinerung per Abstand hat nicht funktioniert.
Vielmehr
ist diese Hinrichtung Grund für eine sogenannte Zeitenwende. Die aktuelle
Gegenwart als Datum 10.06.2018 wird vom vermutlichen Geburtsdatum des
Hingerichteten aus gezählt.
Es ist
zweifellos so, dass sich der Hingerichtete mit dem Thema der Schuld
auseinandergesetzt hat. Mit einer Schuld, mit der seine Zeitgenossen vielleicht
weniger Probleme hatten, die wohl herrenlos herumlag, wie ein großer Haufen
Müll. Es war eine Schuld, die ihm eindeutig nicht gehörte. Aber er hat diese
Schuld für sich beschlagnahmt. In einer Situation, in der es darauf ankommt,
den maximalen Abstand zu gewinnen, hat er sich in Gegenrichtung bewegt, bis
diese Schuld mit ihm eins wurde.
Es ist
diese Gegenrichtung auf die Schuld hin, die die Gegenwart des Kreuzes macht.
Der
Übergriff des Hingerichteten in die Schuld hinein ist sein Übergriff in die
Zukunft.
Mein
Jetzt und mein Heute sind außer dieser Gegenwart bloß Zufall. Aber Jetzt und
Heute sind meine Verantwortung außer allem Zufall.
Tausend
Jahre Abstand helfen da nicht so viel an dieser Gegenwart.-
Was hat
er geändert, kann man fragen.
Zwischen
Tod am Kreuz und Millionenmord fehlt der Beweis, fehlt der kleinste Hinweis,
dass die Geschichte mit ihm eine andere geworden ist, als ohne ihn. Er hat es
nicht verhindert. Er ist gescheitert mit seiner Gegenwart.
Das
Andere der gescheiterten Gegenwart bin ich. Ich weiß, wie er vorgegangen ist.
Ich werde der Erinnerung meine Gegenwart geben.
Das
Kreuz ist keine Rettung durch Höheres. Es ist Entblößung des Menschen in seinen
Tod hinein. Es ist Entblößung des Todes in sein Mord sein hinein.
Sein
Gedächtnis ist Gedächtnis des Karfreitag.
13.6.18
evg