mai/juni 2017

Sehr geehrte Frau A.

 

ich schreibe Ihnen, weil ich Ihren Namen nicht mag. Deshalb schreibe ich auch nur kurz A.. Ich habe ihn vor ein paar Tagen gelesen, und seitdem weiß ich Einiges über Sie. Dass Sie ein Problem mit Ihrer Augenhöhe haben. Das behindert den Austausch. Ich weiß, dass Ihr Mann sich schneller entwickelte und Sie nicht. Weil Sie in der Rolle als Mutter gefangen waren und in der Rolle als  Managerin des Haushalts gefangen waren. Ich finde Managerin gut. Das ist ziemlich weg von Hausfrau und geradezu businessmäßig. Da hat er Ihnen wirklich ein Stück Emanzipation verliehen, Ihr Mann. Und überhaupt, er macht sich ja auch Vorwürfe für Ihre Augenhöhe. Wenn ich Feminist wäre, würde ich ihm zustimmen. Aber ich bin kein Feminist.

 

Von Ihrem Mann weiß ich, dass er nun eine Frau neben sich hat, die kein Problem mit der Augenhöhe hat. Weil, das Kommunizieren ist ihr Fach. Und ich weiß weiterhin, dass er menschlich sehr engagiert ist. Hat er gesagt. Dass er Flüchtlinge rettet. Oder sich dafür einsetzt, dass sie nicht nach Afghanistan abgeschoben werden. Dass er der Landesvater ist. Gewesen sein wird.  Irgendwie gehört das Alles für mich zusammen: Die Augenhöhe, das Rettende und das Landesväterliche.


Sicherlich haben Sie sich gefreut, wie er so vor sich hin gewachsen ist, bis er so groß war, dass er Ihnen von oben auf den Kopf gucken konnte.
Übrigens ist auch meine Frau unter meiner Augenhöhe, ca 2 Meter. Aber das wird sich noch ausgleichen, mit der Zeit, denke ich.


Und jetzt haben Sie vielleicht auch selbst ein Problem mit Ihrem Namen, Frau A.. Der schlottert nun an Ihnen herum wie eine alte Wehrmachtsuniform. Da war der Tag gewesen, an dem Sie Ihren zivilen Namen aufgegeben haben und eingetauscht für den Namen Ihrer Ehe.  Da haben Sie sich stark gefühlt und gut bekleidet zugleich. Sie waren bereit Ihren Dienst zu tun. Komisches Wort: Dienst.
Sie haben ihn getan. Und bei dem, was über Sie gesagt worden ist: Wenn Sie Ihren Dienst schlecht getan hätten, dann wäre auch das gesagt worden.

Ich weiß auch ziemlich genau über Ihre Augenhöhe Bescheid. Nein, ich bin kein Schlüsselloch gucker. Aber ich bin Mitwisser. Ich bin Vater von 5 Kindern und ich kenne ein paar von den Jobs, die dabei anfallen. Ich habe einige mit meiner Frau geteilt und was die sonstigen betrifft eine Ahnung, eine konkrete Unkenntnis darüber, was das Wort „sonstig“ bedeutet.

Das Wort „sonst“ weiß ich und seine Kombination mit dem Wort „nichts“ weiß ich auch. Vielleicht haben Sie nichts sonst getan, vielleicht hat man Sie gefragt: Und sonst nichts?

 

 


Wenn Ihr Kind durch die Wohnung krabbelte, dann wird Ihre Augenhöhe in ca 30 cm Höhe gewesen sein. Ihre Augen werden auf Höhe der Steckdosen in der Wand gewesen sein. Und Sie werden dort diese weißen Plättchen eingeklebt haben, damit das Kind da nicht seine Finger reinsteckt. Augenhöhe ist Führungsverantwortung. Die haben Sie ausgeübt.  Heißt zunächst einfach Gefahren vorhersehen und vorbeugen. Zusehen, dass das Kind keinen Schaden erleidet.

nähren bekleiden besprechen antworten, auf lächeln, auf weinen, lernen was welches weinen bedeuten kann, was frieren, was hitze bedeutet, hundert und einsmal den Socken aufheben der zufällig und beiläufig aus dem Kinderwagen fällt.

Millionen andere Frauen tun das, die eine so, die andere so. Macht es das zu einer Trivialität?

In Ihrer täglichen Sorge werden Sie das Kind in sich hineinwachsen lassen.  Möglich, daß Sie es wie eine Macht erleben, der Sie dienen. 

Sie werden ins Unsichtbare drumherum einen Umriß zeichnen, Vorstellung gewinnen, wie es wächst, wie seine Kräfte sind, und wie es vor aller „Begabung“, einfach nur selbst ist, und schwach, und warm und bedürftig.
Sie werden Ihr Kind repräsentieren, beim Arzt, in der Schule, in Konflikten.  Sie werden Ihrem Kind Sprache geben, die Wörter, mit denen es erlebt. Sie haben ihm das Wort „wir“ geschenkt.

Sie haben mit einander gelebt: Sie haben Ihrem Kind Gegenwart gegeben. Sie haben Ihrem Kind Wörter geschenkt, mit ihm das Gespräch begonnen. Mit diesem Gemeinsamen haben Sie Gedächtnis gestiftet. Wenn alles gut gegangen ist, dann haben Sie einen Ort geschenkt, an den das Kind zurückkehren kann, an dem es etwas von dieser Kraft findet, noch über Ihr Leben hinaus. Sie werden ein Teil seiner Person sein, wie es ein Teil Ihrer Person ist.  

Ihre Kinder haben in Abschnitten wechselnde Bezugspersonen. Wie früh oder wie spät das beginnt, hängt von Ihrer elterlichen und mütterlichen Entscheidung ab. Unabhängig davon gibt es eine einzige Person, in der die vielen Erlebnisscheibchen in eine kontinuierliche Erfahrung integriert werden: Sie geben Ihrem Kind Identität.

Sie haben ein über die Zeiträume gehendes Verständnis Ihres Kindes. Sie haben Gefühle, die Sie mit ihm teilen  und Gefühle, die Sie ihm gegenüber haben. Aufgrund dieser Repräsentation handeln Sie im Interesse Ihres Kindes, auch wenn es nicht gerade anwesend ist. Ihre Kinder sind auch in Abwesenheit ein handlungsbestimmender Teil Ihrer Realität.

Es gehört zu den Grenzen Ihrer Tätigkeit wie jeder Tätigkeit, dass es ein Außerhalb gibt, das „Nichts sonst“.

Indem Sie sich zuwenden mit Augen, Ohren, Nase , Mund, Händen wenden Sie Anderem den Rücken zu. Das ist selbstverständliches Vertrauen in die Menschen und in den Menschen, der bei Ihnen ist: Von da aus, wie die Dinge hinter Ihrem Rücken sind, wissen Sie, wie es um Ihr Gemeinsames bestellt ist.

Sie haben wahrscheinlich nicht gemerkt, dass es ein Wettlauf war: Schnellere Entwicklung gegen „langsame“ Entwicklung. Wer weiß, vielleicht haben Sie sich gar nicht „entwickelt“.
Ich habe da eine Vorstellung: Ein paar Schritte voraus, Gelände und Gefahren abschätzen. Und: immer einen Schritt langsamer als das Kind. Eine Mutter ist so langweilig, dass Kind sich nicht darum kümmern muß. Und eine Mutter sieht alles, denn daraus werden die Geschichten, die erzählt werden.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie sich nicht entwickelt haben. Dass Sie zwei Kinder begleitet haben, bis über die Schule hinaus, und sich kein bißchen entwickelt haben. So stell ich mir das vor.
Sind Sie der Meinung, dass Ihr Mann sich – entwickelt –hat?

 

Sind Sie „gefangen“?

Jemand hat das Wort von Ihrem „Gefangensein“ in der Rolle der Mutter eingebracht. Für das er sich insbesondere selber Vorwürfe macht.

Ich nehme Ihrem Mann das Wort vom „Gefangensein“ nicht ab. Er hat kein Recht das zu behaupten. Er ist doch draußen.

Ich glaube nicht, dass Ihr  Mann für Sie verantwortlich ist. Ich stelle mir vor, dass Sie das selber sind. Eine Feststellung Ihrer Freiheit oder Unfreiheit bei der Ausübung Ihrer Aufgaben liegt zuallererst bei Ihnen. Es ist Ihre Verantwortung. Es war Ihre Freiheit, mit der Sie sich für Ihre Kinder entschieden haben, mit der Sie Ihre Kinder angenommen haben und im täglichen Leben annehmen.
Sollte das nicht zutreffen, dann müssen Sie das sagen. Dann wird Ihre Aussage bezüglich Ihrer Gefangenschaft Ihr persönlicher erster Schritt in die Freiheit sein.     

Es war Ihre Vorstellung, daß Sie Familie gemeinsam mit Ihrem Mann leben. Es war Ihre Vorstellung, daß Sie die kleinen und großen Dinge mit ihm teilen. Irgendwann hat er Ihnen seinen Respekt dafür ausgesprochen,  wie Sie das Alles schaffen. Und  daß er volles Vertrauen in Sie hat, daß Sie das auch allein hinkriegen. Das ist übrigens ein wichtiger Vorgang, an dem man die Führungspersönlichkeit erkennt. Man nennt das Delegieren.

Sehen Sie, von diesem Moment an sieht das mit Ihrer Freiheit etwas anders aus. Vielleicht haben Sie gedacht, daß Sie das wohl so hinkriegen werden, wo es so viel zu tun gibt. Vielleicht war das auch schon die Zeit, in der Sie ein Gefühl hatten wie ein Tritt in den Magen, in der Ihre Kräfte  Sie verließen, in der Sie lernten, daß es egal war, nein, richtiger gesagt, daß Sie selbst egal waren. Daß Sie allein waren.

Und an diesem „Egal“ haben Sie zum ersten Mal Ihre Freiheit neu vermessen. Es war Ihre Entscheidung, ob Sie dieses Egal weitergeben an Alles, was Ihnen bisher wichtig war: Ob Ihnen die Beziehung zu Ihren Kindern grau wird, weils egal ist, irgendwie auch. Oder, ob Sie auch unter den neuen Umständen, und die werden Sie vielleicht als Gefangenschaft  bezeichnen wollen, ob Sie auch unter diesen Umständen die Aufgaben gegenüber Ihren Kindern als  Mutter und als Repräsentantin der Institution Familie, ob und wie Sie die leben werden.

Nein, es ist nicht Ihre „Rolle als Mutter“ , die Sie zur Gefangenen macht.

Irgendwann mussten Sie merken, dass Ihr Name falsch war.  Wie dieses Stück Uniform, mit dem Menschen bekleidet und ins Falsche befohlen worden sind, so hat dieser Name ein Versprechen,  das er  nicht mehr einlöst.

 

An der Alster steht ein Stein, letztes Jahr stand in großen roten Buchstaben darauf: Allah ist Chef von Is.  Ich fand den Text ganz witzig, weil er in 5 Wörtern so völlig zerrüttet war. Ich mag zerrüttete Texte. Was wollte der Autor sagen? Wer hat das geschrieben?  War es ein Anhänger des Is, der sich auf den Befehl Allahs wie auf eine Verheißung berief? Oder war es ein anderer, der Allah, und damit alle Moslems für die Untaten des Is verantwortlich machen wollte?  -

Unter dem Text,  näher am Stein, ohne Farbe,  ist aus dem Material ein anderer Text herausgeschnitten: „Wir sind die Generation ohne Bindung und ohne Tiefe. Unsere Tiefe ist der Abgrund.“

Dieser Text ist intakt. Er handelt von Zerrüttung.

 

Sehen Sie, das mit der Bindung ist zu greifen, wo man hinfasst:

Sei es Sie in Ihrer Ehe, die im Verfahren der Auflösung ist. Übrigens, 20% aller Kinder wachsen bei einem einzelnen Elternteil, wahrscheinlich der Mutter, auf.

Sei es mit mir. Ich bin allein mit einer Behörde. Sie heißt Familienkasse, aber sie kennt kein Eingedenken an Kinder und Eltern. Diese Behörde ist ohne Bindung.

Stellen wir uns doch vor, Sie seien nicht im Haushalt „gefangen“ gewesen. Stellen wir uns doch ein klein wenig Emanzipation vor. Stellen wir uns vor: Sie arbeiten.
Ihr Arbeitsplatz: Ein Schreibtisch in der Familienkasse Nord. Etwas mehr als 1 Million Kinder, die hier irgendwie in Arbeit sind. 

Irgendwo im Stapel: Ein Anschreiben, eine Schulbescheinigung, ein Antrag auf Kindergeld, zwei Studienbescheinigungen. Verfasser: Ein Vater von 5 Kindern, die Mutter verstorben.

Da könnte man den Eingang vermerken und die Zahlung der ausstehenden Gelder veranlassen.  

Wenn Sie dort eine Tätigkeit antreten, dann werden Sie etwas anderes tun. Sie werden Familie mit Bürokratie überziehen. Sie werden dort  Metastasen Ihres Schreibtisches injizieren. Familie wird   bürokratisiert, bis sie allein mit Ihnen vollbeschäftigt ist, gegen alles, was es - sonst - zu tun gäbe.  Sie werden Anträge fordern, Sie werden Bescheinigungen über und über fordern, bis Fehler auftreten.  Dann werden Sie zuschlagen.

Sie werden Fristen setzen gegen Mütter oder Väter. Sie werden Ansprüche für verfallen erklären, gegen Mütter, gegen Väter. Sie werden Einsprüche ohne Antwort vermodern lassen, wenn sie ohne Begleitung eines Juristen eingereicht werden.

Vielleicht sind Sie noch emanzipierter. Vielleicht sind Sie sogar juristisch qualifiziert. Dann werden Sie die Beschwerde abwimmeln und eine Vorschrift zitieren, in der von mangelnder Gewissenhaftigkeit der Mutter, des Vaters die Rede ist.

Sie werden die Existenz einer Familie zerstören. Von der Verweigerung von 16.700 Euro über eineinhalb Jahre hinweg habe ich mich nicht erholt.

Sie werden dumm sein.
Das, was Sie als verheiratete, versorgte Mutter von 2 Kindern wissen, dieses konstant gegenwärtige Bewußtsein von dem, was die Kinder brauchen, dieses Denken von dem aus, was nötig ist im Zusammenhang aller, das werden Sie vergessen.
Als Mutter würden Sie die Ahnung haben, was es da hochzurechnen gibt, bei der Information zum Antragsteller: Bei: Alleinstehend, weil verwitwet, bei: 5 Kinder, bei: prekär, weil selbstständig, bei: prekär, weil über 60: Als Mutter hatten Sie gelernt, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, ihre Bedürfnisse mitzufühlen.
Als Beamtin haben Sie die Pflicht das zu vergessen. Sie werden nicht bezahlt, für das, was Sie verstehen.
Sie werden dafür bezahlt, daß Sie dumm sind.
Sie werden auch nach 27 Jahren Kindergeldbeziehung, nach über 100 Kindergeldjahren mich immer wieder Anträge ausfüllen lassen, immer neue Studienbescheinigungen abfordern. Nach der aktuellen Bescheinigung übers 5. Semester dann die übers 4. und das 3. und das 2. und das 1.  Semester.
Sie werden schlau sein, als Beamtin.
Sie werden sich nämlich ausdenken, dass das Kind vielleicht Urlaub gemacht hat, im 4. Semester beispielsweise, wenn Sie nur die Bescheinigung vom 5. Semester haben. „Etwaig“ werden Sie das nennen. Nichtwissen ist Macht, habe ich mal gelesen.

Als Mutter würden Sie wissen, was Sie jemanden zumuten mit Extraforderungen.
Als Beamtin sind Sie ohne Bindung gegen Menschen.    

Falls Sie noch über das „Sonstige“ nachdenken, das, was Sie nicht gelebt haben:
Falls Sie beispielsweise an eine Tätigkeit in der Familienkasse Nord nachdenken sollten, um das „Nichts“ hinter dem Sonstigen zu füllen: Ich versichere Ihnen da ist: Nichts.
Und das ist ein anderes Nichts, als das utopische „nichts sonst“, an dem Ihr Dasein als Mutter eine Grenze hat. 
Es ist das Dasein ohne Bindung. Es ist ein Nichts aus der Mitte dieses Staates heraus. Ein Nichts gegen Menschen, die versuchen ihre Bindung zu leben.

Ihre Entscheidung zwischen Mutter und Beamtin ist eine Enscheidung zwischen Mensch und Unmensch.
Denn die Utopie Ihrer Emanzipation ist die Hoffnung auf eine globale Bürokratie, einer Weltverwaltung der humanitären VollautomatInnen, in der die einen Anträge stellen, Unterlagen vorlegen, Nachweise suchen, und die anderen das alles abfordern,  Fristen setzen, warten lassen,  genehmigen , verweigern.  In der die einen untergehen und die anderen versorgt sind.

Da ist nichts.

Ich schulde Ihnen eine gendermäßige Zusammenfassung. Sie könnten sich bei Ihrem Weg durch die Behörde noch ein paar Arbeitsplätze aussuchen. Eine weitere Frau Juristin, die nur Daumen hoch oder Daumen runter macht und den Schreibkram dann weitergibt. Oder weiter oben, Männer, bis hinauf zum Leiter der Familienkasse. 11 unterzeichnende BearbeiterInnen: 4m, 4w, 3? im lückenlosen Zusammenwirken. Auf Behördenseite spielt Ihr Geschlecht keine Rolle. 
Und auf der anderen Seite, wo die Dinger sind, mit denen Behörde rummacht? Ich bin Mann, ich bin Vater. Soll ich glauben, dass das nicht ebenso mit Frauen, mit Müttern gemacht wird?
Sehen Sie, ich bin nicht Feminist. Denn ich glaube nicht, dass die Strafe von Ihrem Geschlecht abhängt: Sie werden nicht bestraft, weil Sie Frau sind, sondern weil Sie Familie leben. Und ich werde nicht bestraft, mit meinen Kindern, weil ich Mann bin, sondern weil ich Vater bin, Familie lebe.  
Es ist die Beziehung, die wirkliche Bindung zwischen Menschen aus Fleisch und Blut, die mit Strafe belegt wird.
In beiden Fällen spielt die Zeit eine eminente Rolle: Ich habe eine Frist versäumt und Sie, Sie haben sich nicht entwickelt. Langsamkeit wird bestraft. 

Aber Bindung ist das gemeinsame nebeneinander Hergehen, das dauernde Anpassen an den Schritt des anderen. Bindung ist Langsam.

Das ohne Bindung sein: Es zeigt sich nicht unbedingt im Zerbrechen einer Ehe. Ich weiß es nicht. Aber in der Ver-öffentlichung zeigt es sich. Da ist die Story von Ihrer Beschränktheit, mit der einer, der Ihnen nicht in die Augen sehen kann, das auf Ihre Augenhöhe schiebt.  Und der dann auch noch Verantwortung übenimmt, sich Vorwürfe macht für die Niedrigkeit Ihrer Augenhöhe:

Der nämlich bietet mir als Leser eine Erhöhung meiner Augen auf seine Augenhöhe an, indem er mir gegenüber über Ihre Augenhöhe spricht. Da darf ich aber geschmeichelt sein, so ganz von  Ministerpräsidenten Augenhöhe auf Sie herab zu schauen.

Da ist ein Klassenzimmer, Grundschule. Ein paar junge Frauen, eine ältere,  älter, weil das Ende ihres Lebens sich in ihrem Körper ausbreitet. Sie hatten einander kennengelernt vor 10 Jahren, als sie zum erstenmal erkrankt war,  operiert war, das hatte sie erst leicht genommen, und dann stand sie unter der Chemotherapie, spürte, wie die Chemie die ursprüngliche Kraft ihres Körpers fraß. Da hatten wir Helferinnen und auch drei junge Studentinnen als Hilfe im Haushalt mit 5 Kindern zwischen ein paar Monaten und zehn Jahren. Eine von ihnen hat Musik studiert, und jetzt nach ihrer Prüfung zu einem Abend eingeladen mit einigen Liedern, die sie mit Klavierbegleitung sang. Eine von ihnen war inzwischen junge Mutter, trug ihr Baby auf dem Arm. Wir plauderten miteinander. Dann sehe ich meiner Frau zu, wie sie in die Knie geht, unendlich langsam, ich sehe ihr zu, wenn ich sie verstanden hätte, wäre ich ihr wahrscheinlich zuvorgekommen. Schließlich ist sie unten, greift etwas, geht wieder in die Höhe, sie ist nicht besonders groß, und reicht es nach oben. Das Kind greift danach. Das war das, was sie gesehen hatte und ich nicht. Es ist eine private Geschichte. Aber in einem Text, in dem es um Augenhöhe geht, darf sie nicht fehlen, denke ich.

      

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So ganz kommt er nämlich nicht von Ihnen los. Das Privileg mit Ihnen Ehe zu führen, hatte er aus freien Stücken aufgegeben. Das sollte Sie ja eigentlich zu einer 3. Person machen, deren Privates ihn nicht angeht. Aber er ist Besitzer von Insiderwissen, und darauf will er nicht verzichten. Er hat die Deutungshoheit über Ihren Beitrag in der 27 jährigen Ehe, und seine Deutung wird ihm gern abgenommen.  

Ich bin kein Feminist. Darum verweigere ich die Annahme der Geschichte von der Beschränktheit in Erfüllung der Aufgaben. Ich bin nämlich Ihr Mitwisser.

Weil meine Frau Mutter von 5 Kindern ist.

 

Zweiter Satzteil: „Ohne Tiefe.“

Tiefe in uns ist unser Gedächtnis.
Sie haben mit Ihren Kindern, denen Sie das Leben gegeben haben, die mit Ihnen das allererste Wir erfahren haben, Gedächtnis gegründet. Mit Ihrer Gegenwart haben Sie Ihren Kindern ihre Vergangenheit gegeben. Orte, zu denen sie sich zurückflüchten werden, wenn sie in Gefahr sind, wenn sie Wunden geschlagen bekommen  haben, wenn sie von vorn beginnen, trotz allem. 
Mutter sein heißt auch gehen lassen und den Rückweg offen zu halten.

Offener Rückweg heißt vorwärts gehen können. Die dankbare Erinnerung ihrer geborgenen Kindheit wird Ihren Kindern Anleitung geben, wie sie ein Verhältnis mit dem anderen Geschlecht finden, wie sie selbst Vater oder Mutter werden.

 

Bei den Os in Amerika: „Sie sind selbstständige junge Frauen“, sagt der Mann. „Sie sind Kinder“, sagt die Frau. -

„Unsere Tiefe ist der Abgrund.“
Das heißt, unser Gedächtnis ist uns nicht mehr zugänglich. Im Zurückgehen droht der Absturz. Der Abgrund macht, dass unser Gedächtnis zu einer Bedrohung wird, zu einer Gefahr, die getilgt werden muss. Menschliche Bindung, die getilgt werden muss, verweist auf Schuld.

Der zitierte Text könnte von heute sein. Man ist nicht weiter gekommen seitdem. Es ist ein jederzeit jetzt Text.

Es wird Entscheidung sein, ob Sie als Mutter noch gewollt sind, oder, falls Sie zufällig Mutter werden sollten, ob Ihre Kinder Bindung erfahren dürfen. Es wird Entscheidung sein, ob wir Schuld nur objektiv von  außen verstehen, oder aus unserem Gedächtnis heraus in die Schuld eintreten. Das könnte bedeuteten, die Uniform jener Jahre mitzutragen.

Wer Sagrotan und Alzheimer gegen das Gedächtnis einsetzt, wer die alles überwachende Technik gegen „Devotionalien“ einsetzt, der oder die hat das nicht verstanden: Ohne Bindung und ohne Tiefe.  
Wenn Ministerin der Verteidigung den Soldaten Gedächtnis verbieten will,  hat sie nicht verstanden, wie von vornherein versperrt unser Gedächtnis ist.
Sie agiert den Satz anstatt ihm zu widerstehen.

 

 

 

 

 

 

Irgendwann war dem Soldaten klar, dass das nichts mehr wird mit Wunderwaffe und Endsieg. Seit zwei Jahren Rückzug. Irgendeine Meinung wird er gehabt haben betreffs der Politiker, die ihn von Berlin aus in diesen Krieg geschickt hatten.

Aber er hatte eine Vision: Vielleicht hundert Kilometer weiter westlich sah er sie: Frauen, Kinder alte Männer, die einen Gaul vor einen Wagen mit Habseligkeiten spannten, die sich in bitterer Kälte zu Fuß auf den Weg nach Westen machten.  Andere Menschen, deren Flucht zu den Häfen führte, um ein Schiff nach Westen. Im Osten kam der Feind mit Übermacht.

Sein Auftrag war einfach: Zeit gewinnen für die Flüchtenden. Irgendwann hat er gewußt, dass es heute sein letzter Job sein wird. Er hat vielleicht an die Kameraden gedacht, die ihm vorangegangen waren. Vielleicht hat er an Menschen gedacht, die durch ihn zu Tode gekommen sind. Vielleicht hat er an die Menschen gedacht, denen er versprochen hatte, auf sich achtzugeben und zurückzukommen nach Haus. Und dann hat er seinen Job getan.

Einige Jahrzehnte später wird die Nachfolgerin seiner obersten Befehlshaber, die deutsche Verteidigungsministerin, dem Soldaten als Vorgänger der heutigen Soldaten das Gedenken kündigen.

„Die Wehrmacht ist in keiner Form traditionsstiftend für die Bundeswehr.“ wird sie sagen.

Schon etwas merkwürdig. Jede Firma, die ihr Jubiläum feiert, wird in ihrer Festschrift Auskunft geben müssen, über die Art, wie sie durch diese 12 Jahre gegangen ist. Für jede Schule, die einen größeren Jahrestag feiert, gilt das Gleiche. Jeder Deutsche wird die Frage mit sich tragen und irgend ein Wissen haben, wo seine Eltern, seine Großeltern, wo diejenigen waren, deren Leben im Gravitationsfeld jener 12 Jahre moderiert wurde, mit denen seine Existenz verkettet ist.
Nur die Organisation von Uschi Unschuld hat mit all dem nichts zu tun.

Eine eigenartige Entlastung: Nicht Politiker, sondern Soldat (Wehrmacht) Meier ist es gewesen. Und der Soldat (BW) ist – bis auf die eine oder andere  Ausnahme – immer anständig.  Der Satz ist nicht ohne Tradition.

Der Soldat heute muß mit seinem Tod im Einsatz rechnen.
Der Soldat heute muß damit rechnen, dass er im Einsatz tötet.  Dazu wird er ausgebildet. Vielleicht ohne den Feind zu sehen, vielleicht mit einem Joystick unter den Fingern, mit einigen Befehlen, die er in eine Tastatur eingibt.  
Der Soldat heute muß damit rechnen, dass er Unschuldige tötet. Das Verfahren, das bei dem Einsatz in Kundus verwendet worden ist, eine Zerstörung  von 2 Tankwagen aus der Luft nach Anforderung vom Boden aus, mit über 100 zivilen Opfern, war übrigens eine Innovation der Wehrmacht, eingesetzt zur Panzerbekämpfung beim Angriff auf die Sowjetunion.  

Der Soldat heute ist Werkzeug der Politik. Das war er damals auch.
Der Soldat ist nicht unschuldig. Er ist durch seinen Beruf von vornherein kontaminiert.
Er steht für die absolute Diskontinuität von Leben: Von Unschuldigen, von Kämpfern, von seinem eigenen.  Er wird übergreifende Kontinuitäten in Anspruch nehmen müssen, um sich in diesem Dis-Kontext zu verorten.

Eine Kontinuität ist das Gedächtnis. Von dem Augenblick an, da er nicht mehr Teil der Kommunikation ist, ist ihm das Gedenken zu bewahren. Erinnerung ist ein Versprechen der Gemeinschaft. Sie steht außerhalb des Beliebens einer Politikerin.   Vertrauen kann Soldat diesem Versprechen nur, wenn er es an den Toten vor ihm eingelöst sieht.

Eine zweite übergreifende Kontinuität des Soldaten ist Schuld. Dort, wo die Tötungshandlung atomar ist, einen Mensch ausschaltet aus allem Zusammenhang, da stellt Schuld Kontext her.

Kontext, in dem sich der un-schuldige Zusammenhang der unmittelbaren Aktion auflöst und dem  Gedächtnis vorstellig wird. Kontext, in dem die Toten in ihrem eigenen möglichen Leben vorstellig werden. Kontext,  den jene Gemeinschaft, aus der heraus die Tat begangen wurde, stiftet, durch Bejahen, durch Verneinen, durch Mittragen. Kontext, den die Gemeinschaft, aus der die Opfer kamen, erzwingt, durch Klage, durch Anklage, durch Prozeß. Kontext, möglicherweise durch Gespräch, möglicherweise nicht.

Schuld überwuchert die Diskontinuität. Sie ist die Repräsentation der nicht mehr da Seienden im Bewußtsein der da Seienden: Erben der Opfer, Erben der Tat, Zuschauer.

Der Ursprung der Schuld ist nicht die Aktion, das Verbrechen in seiner Dunkelheit. Ursprung der Schuld ist der Augenblick, in dem der Kain nach dem Verbleib seines Bruders Abel gefragt wird.

Politik hat weder dem Soldaten das Gedächtnis zu entziehen.
Noch hat Politik das alle Soldaten übergreifende Kontinuum von Schuld in Frage zu stellen. Sie hat anzuerkennen, daß Wehrmacht mit über 17 Milllionen Soldaten repräsentativ für Deutschland war. Für das, was Gemeinschaft in ihrer Gleichzeitigkeit war und für das, was Gemeinschaft für uns als deren Nachkommenschaft ist.

Eine Inanspruchnahme von Privilegien der Unschuld, wie etwa der „Gnade der späten Geburt“, oder des richtigen Geschlechts will sich scheinbar von konkreten Verbrechen und ihren Tätern absetzen, benutzt jedoch die private Unschuld des Nicht Wissens zur pauschalen Verurteilung aller dabei Gewesenen. Der Nutzen einer Behauptung der Unschuld, weil ich nicht dabei war, ist begrenzt, weil von herein nur auf meine Privatheit bezogen.

Ebenso zurückzuweisen ist die Vorstellung einer Erledigung durch das Abwarten der „biologischen Lösung“: Dass durch den Tod alter Menschen, denen das eigene Leben zu verdanken ist, der Kontext der Schuld, in dem man eben dadurch steht, aufgehoben werden möge.

Mit dem Tod hat der Mensch nicht Kumpan zu sein.
Vielleicht muss man Soldat sein, um das zu verstehen.

Ein Abwarten übrigens, das unmittelbar an die aktuelle  Praxis der Vernichtung durch Bürokratie grenzt, durch die den ehemaligen Zwangsarbeitern, welche der Vernichtung durch Arbeit entgangen sind, eine Entschädigung zu Lebzeiten vorenthalten wird.
Auch 80 Jahre danach ist das Verbrechen an Zwangsarbeitern nicht einmal den noch lebenden Menschen gegenüber abgeschlossen. Die wahre staatliche Kontinuität ist die totale Herrschaft der Schreibtische.

Politische Führung steht immer in Tradition der Führungen, die ihr vorangegangen sind. Heutige Politik muss sich in Negation der Führung vor 80 Jahren verstehen.

Im Gegensatz zu dieser Negation auf Ebene der Führung hat politische Führung nicht dem damals dienenden Soldaten im Vergleich zum heute dienenden Soldaten die Achtung zu negieren. Seine Befehlshaber hat sich Soldat nicht ausgesucht. Vor achtzig Jahren nicht und heute auch nicht.

Eine Politik, die sich in ihrer Negation des Führers aus der Tradition der politischen Verantwortung für die Geführten verdrücken will, um ihre eigene Unschuld zu behaupten, hat dem Soldaten nichts mehr zu sagen.  Sie ist vom Wesen her sprachlos geworden.

Politik hat den Soldaten in seiner Schuld zu achten.  

Es ist politische und militärische Führungsverantwortung, den Soldaten in seiner Schuld von dem Verbrechen abzugrenzen. Führung hat Sorge zu tragen, dass der Soldat nicht zum Verbrecher wird und sie hat Verbrechen zu sanktionieren. -

Und dann ist da Herr Schmidt. Es gibt eine Bundeswehr Hochschule, die seinen Namen trägt. Irgendwo dort hing ein Foto von ihm, die ihn in Wehrmachtsuniform zeigt. Dieses Bild wurde auf Befehl der Verteidigungsministerin abgehängt.

Als Herr Schmidt die Einheitskleidung des Wehrmachtssoldaten trug, war er ein irgendwer, wie 17 Millionen einberufende Soldaten, wie zig Millionen auf der anderen Seite. In der Flut 1962 wurde er zu Herrn Schmidt, den jeder kannte.

Sein Handeln an jenem Tag, als die Natur angriff,  bewies Reaktionswillen. In einer chaotischen Lage ging von seiner Person koordinierter Widerstand aus. Schmidt hat Grenzen überschritten, und Nato Ressourcen zu mobilisiert. Er hat gegen das Grundgesetz die Bundeswehr mobilisiert, in Ansehung der Menschen die es zu retten galt. Er hat den geretteten Opfern der Katastrophe unmittelbar Handgeld zukommen lassen.
Er hat dieser Katastrophe in ihrer Vielschichtigkeit geantwortet.

Die Frage nach seinem Verhältnis zur Wehrmacht ist einerseits der reaktionsschnellen situativen Kompetenz geschuldet, die er in dieser Lebenszeit erworben hat.

Sie hat weiterhin mit seinem Soldat sein wie jedermann zu tun. Er steht dadurch im Verhältnis zur Allgemeinheit seines Volkes.

Er hat sich zeitlebens mit der Frage der Schuld auseinandergesetzt. Derjenigen Schuld, in die er sich im Kontext des Verbrechens hineinstellte, und jener persönlichen Schuld, die er im Kontext seines späteren politischen Handelns als unvermeidbar auf sich nahm.

Die Wehrmachtsuniform, die Helmut Schmidt auf dem Foto trägt, enthält für den Heutigen bereits den Vorgriff auf alles, was es über die Wehrmacht  zu wissen gibt und geben wird. Dieses Wissen wird wachsen, und zugleich unterlaufen werden von Vergessen.
Das macht ihre Objektivität vieldeutig.  Herr Schmidt kann nicht hinter seine Uniform zurück. Er hat das auch nicht versucht. Die Uniform ist eine Zweiheit aus dem Befehl, der über sie verhängt ist und dem  Menschen, der in ihr lebt, auch sein Leben lebt. Sie ist Symbol des Verbrechens, Symbol des Krieges, der Achtung vor dem Feind in seinem Widerstand, Symbol von Kameradschaft, Symbol von Leistung,  ist zugleich Stoff für Zufall, Kontingenz, Belangloses.

Auch das bloße Nebeneinander ist Teil des Vielschichtigen.

 
Jeder Versuch den Herrn Schmidt aus seiner Uniform zu lösen, auch durch Etikettierung  mit der richtigen Bildbeschriftung stellt eine Dehistorisierung hinter den gewonnenen Sachstand dar.

Mich interessiert relativ wenig, ob Herr Schmidt mit 20 Jahren zur militärischen Führung Aufmüpfiges gesagt hat. Es gab und gibt viele kecke Zwanzigjährige. Er hat sich mit dem Tragen der Uniform in seine Gemeinschaft gestellt. Sie war für ihn attraktiv, weil er sich in allen seinen Kräften herausgefordert sah und er wird den Zuwachs an seinen Kompetenzen in kurzer Zeit genossen haben.

Mich interessiert etwas mehr der Schmidt des Februar 1962. Ein Angriff der Natur. Dämme, die brachen und dagegen ein Wille unmittelbar in die Bresche zu springen. Ein Heranziehen der Ressourcen über die Grenzen seines Amtes hinweg, über die Grenzen des Gesetzes hinweg, ein vollständig Handeln in seiner Stadt. Unmittelbar gegen die betroffenen Menschen.
Es gibt Konstanten im 44 jährigen Schmidt zum Schmidt vor 20 Jahren: Absolute Schnelligkeit der Reaktion. Situationsbestimmtes Handeln statt Bürokratie. Maximale Organisation der Antwort. Menschenorientiert statt Gesetz. Handgeld für die Opfer.
Im Jahr 2017 entzieht mir Bürokratie mit dem Titel Familienkasse 16.700 Euro Kindergeld. Die wissen nicht mehr, was ein Mensch ist. Eine Bindung an den Menschen ist nicht mehr gegeben.

Mich interessiert der Schmidt des Jahres 2007. Mich interessiert der Mann, der versucht Rechenschaft abzulegen, über seine  Verantwortung und die seiner Generation mit ihm.
Mich interessiert die Nüchternheit eines Mannes, für den der Kosovo Krieg ein Bruch des Völkerrechts ist, der in Sachen Afghanistan  als „ehemaliger Frontsoldat es gut ertragen kann von einem amerikaischen Politiker als Feigling beschimpft zu werden“, der eine Achtung vor Grenzen und der Souveränität anderer Staaten hat.

Mich interessiert die Verachtung, mit der dieser Mann das Wort „Verantwortung“ behandelt, gegen eine Generation, die Anspruch erhebt auf einen Platz an der Verantwortung, wie einst deutscher Kaiser.
Mich interessiert der Umriß eines bescheidenen Deutschlands, den er gezeichnet hat.

Mich interessiert das: „Sagt Nein, Mütter, sagt Nein“, das dieser Alte in seinem „Nicht-Pazifist sein“ gelebt hat.
Es war ein 90 jähriger Greis, der die Stellung hält. Weil er Gemeinschaft mit seinem Volk hat.
Das ist die Botschaft aus Uniform und der über 90 jährigen Person, die sie einmal getragen hat.

Da ist Frau Schmidt. Im Krieg haben sie geheiratet.  Im Krieg ist sie schwanger geworden. Im Krieg hat sie das gemeinsame Kind geboren. Im Krieg hat sie ihrem Mann den Brief geschrieben, dass es gestorben ist. Im Krieg hat ihr Mann den Brief nicht erhalten. Aus einem späteren Brief hat er verstanden, dass es wohl so gewesen ist. Sind Sie der Meinung, dass Frau Schmidt keine Uniform getragen hat, bloß weil sie keine Uniform getragen hat? 

Herr Schmidt darf ja nun wieder aufgehängt werden, domestiziert mit einer eindeutigen Leseanweisung, „hat schon zu Nazizeiten eine freche Bemerkung gemacht“, wo es nicht zu rehabilitieren gibt.

Schon mal gedacht, dass es nicht um DEN Herrn und DIE Frau Schmidt geht?  Sondern um den ungekannten Schmidt, den Schulz, den Huber, den Meier? Um die vielen Einzelnen, aus denen wir gezeugt sind, den Frauen, die unsere Mütter, oder Großmütter sind.
Denen wir unseren Prozeß machen, weils keine Jungfrauengeburt war.
Weil sie eine Kränkung unseres Anspruchs auf eine makellose Genese sind. Sind wir so sicher, dass es wirklich Scham vor den Opfern ist, die das Vergessen der Eltern anordnet?
Nahezu jeder Soldat der Bundeswehr dürfte Großväter haben, die im Bezugszeitraum Weltkrieg in der Wehrmacht Dienst taten.

Sind wir sicher, dass es wirklich Moralität ist, wenn man sich mit der Rede von der Gnade der späten Geburt ein: Ich bins nicht gewesen Alibi konstruiert? Das wäre genau dort,  wo die Vorigen jeder für sich wußten,  wo  er war,  im Guten, im Bösen, im mal so, mal so sein.

Da, wo die Vorigen frei waren, und wo die Nachherigen nur noch als Nachherige bestimmt sind unfrei durch das, was vor ihnen geschehen ist,  unfrei dadurch, dass sie jeder Tag Sonne, jeder Tag Regen, jedes Lachen, und jedes Weinen, jede Lust und jedes Einverständnis und jedes „Gedicht“ zu Komplizen der Geschichte macht, weil ein vollständig verwirklichter Unwille uns Heutige selbst daraus löschen würde. Das ist der konkrete Ort meiner Schuld. Ich stehe im Gravitationsfeld einer Singularität, zu der es keinen Abstand gibt. Und ich leiste Widerstand dagegen. Es gibt ein Vorher, es gibt ein Nachher, es gibt ein Daneben, ein Woanders. Was sind das für Ortsbestimmungen.

Ich bin ein Kind der Zufalls. Ich lebe neben meiner Schuld.

Eine Frau bringt sieben Kinder zur Welt, und denkt nicht, dass Kinder nicht nur in die Zukunft, sondern auch in ihre Vergangenheit gestellt sind?
Daß ihre Kinder nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber dass sie irgendwann in die Vergangenheit eintreten werden, gegen das Dasein des Vergangenen sich verwahren und irgendwann den Anspruch auf ihre Unschuld aufgeben, um als Erinnernde in Gemeinschaft einzutreten.

Nein, ich habe keine Antwort. Aber die Frage allein, ein Bewußtsein darum, was da zu fragen ist, hätte der Ministerin einige Sätze unmöglich gemacht, die sie so spontan geäußert hat, bezüglich der Nicht-Tradition zwischen Bundeswehr und Wehrmacht. -

So, sehr geehrte Frau A., so kann es gehen, wenn man einen Namen mit einer Wehrmachtsuniform vergleicht. Sorry für die lange Abschweifung.

Jetzt sind Sie frei mit dem Namen. Mit der Scheidung haben Sie eine Entscheidung: Sie können ihn weiterhin tragen oder ablegen. Sie haben diesen Namen 27 Jahre getragen. Mit Ihrem Namen waren Sie die Mutter Ihrer Kinder. Wer Sie mit Ihrem Namen anredete, hat Sie gemeint und nicht denjenigen, dessen Namen Sie auf sich genommen haben.
Es ist Ihr Name, Frau Albig.
Ein guter Name, meiner Meinung nach.
Das wollte ich Ihnen geschrieben haben.

Unabhängig davon, wie Sie selbst dazu entscheiden.  

Alles Gute Ihnen und Ihren Angehörigen.

 

Mit freundlichen Grüßen

Ekkehard von Guenther